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16.08.2010 - Wanderung auf den Hexenturm (2170m, Versuch) und Gewitterkrimi


Bild 46: Frühmorgens hing exakt nördlich des Grabentörls dichter Nebel/Hochnebel über dem Seeboden, der keine Anstalten machte, über das Törl Richtung Südhang zu wandern.



Ich habe mir dazu folgende Theorie überlegt, bzw. sind es zwei Überlegungen, die auch zusammen präsent sein können:

in den frühen Morgenstunden heizt die Sonne zuerst den Südhang, während der Nordhang noch schattig bleibt und dort bis zum Taupunkt auskühlt, entsprechend setzt Nebelbildung ein. In den frühen Vormittagstunden wärmt sich der Südhang weiter auf, während der Nebel dies im Nachbartal verhindert. Die Scharte trennt damit potentiell kältere Luft am Nordhang von potentiell wärmerer Luft am Südhang. Der resultierende Druckgradient führt zu einem Aufsteigen der Nebelluft über die Scharte. Nun wirken sowohl die Hangaufwinde (Sonneneinstrahlung) als auch der synoptische Südwind diesem Druckgradient entgegen, und verhindern dadurch ein Überschwappen auf die Südseite. Warum aber bleibt der Nebel weiter bestehen? Entweder der seichte Druckgradient am Hang entlang und bzw. oder die Südströmung erzeugt am oberen Nordhang der Scharte einen Unterdruck und damit ein weiteres Ansaugen von feuchtkalter Talluft nördlich der Scharte. Diese Luft steigt auf und füttert durch Hebungskondensation den Nachschub der Nebelluft, in etwa ein Effekt wie bei einer "Banner Cloud", wie man sie häufig am Matterhorn sieht. Gemäß dieser Theorie bleibt die Scharte nur solange die Grenze von Nebelluft zu Sonnenhang, wie der Hangaufwind (thermisch) bzw. synoptische, entgegengesetzte Winde (hier: Südwind) aufrechterhalten bleibt. Sobald der Südwind nachlässt, drückt es die Nebelsuppe zum Südhang. Wodurch kann dies geschehen?

a) der synoptische Südwind (Höhenwind) lässt nach, dann überwiegt der Druckgradient zwischen kalter Nebelluft und Sonnenhang, am Habicht (3277m) am Pinnisjoch gab es dann ein Wechselspiel, mal floss der Nebel zur einen, mal zur anderen Talseite: [www.inntranetz.at]

b) deutlich kältere Luft fließt auf die Nordseite der Scharte, dann verstärkt sich der Druckgradient zwischen Nord und Süd und überkompensiert den Höhensüdwind. Dies kann entweder durch eine Kaltfront geschehen oder durch konvektiv bedingt gekühlte Luft, d.h. Schauerniederschläge und resultierende Verdunstungskälte erzeugen einen Kaltluftteich. Dies geht recht flott und kann innerhalb kürzester Zeit die beobachtete Balance der Nebelluft (siehe folgende Bilder) aus dem Ruder bringen. Später sollte sich herausstellen, dass b) für die Umkehr dieses lokalen Windphänomens verantwortlich war.

Bild 47: Grabenstein und Buchstein, hinten links vermutlich Hochschwab



Ganz wichtig !! In den Bildern 46 und 47 tauchen am Himmel mittelhohe, längliche Wolkenfelder, Altocumulus stratiformis. Sie deuten auf wiederholten Feuchteeinschub in 3-7 km Höhe hin, und da die Linsenform fehlt, kann man auf nachlassenden Föhneinfluss schließen. Ich beobachte seit mittlerweile 13 Jahren regelmäßig die Wolken und Ac-Felder sind meist ein zuverlässiges Anzeichen für Niederschläge, die zumindest binnen zwölf Stunden aufkommen, manchmal auch früher...

Bild 48: ...denn über dem Mittagskogel zeigte sich nun auch diese Unterart des Altocumulus, die man am Ehesten wohl mit floccus beschreiben kann. Dieses zellförmige Zeug ist manchmal ein Gewittervorbote, deutet zumindest etwas Labilität an. Dann kann sich das Zeitfenster auf 3-6h reduzieren. Wann immer ich diese Wolkenart sehe, steigt meine Skepsis, mich in unwegsames Gelände zu begeben....



Bild 49: ...unten das Admonter Haus, oben die Admonter Warte, klar erkennbar der Weg, der zum Jungfernsteig führt, weiterhin Nebelwolken im Tal, wenn auch vorübergehend zur Auflösung neigend. In der Höhe vorübergehend Cirrenbänder, somit ist in allen Stockwerken, manifestiert durch Wolken generell, viel Feuchte vorhanden. Prinzipiell gibt es damit keinen Hinderungsgrund für eine Gewitterwolke, sich aufzulösen, da sie zumindest nicht austrocknen kann. Setzt man also voraus, dass bereits ein Gewitter unterwegs ist, so findet es genügend "Nahrung", um weiterzuleben. Cirren treten meist als Vorboten von Fronten, weniger von Gewittern auf, außerdem gilt: Bei Frauen und Cirren kann man sich irren.



Bild 50: Die steile Südflanke der Haller Mauern



Bild 51: Meine "Schlüsselstelle". Der Weg quert eine Schotterrinne, ist dort ausgesetzt und mit Drahtseil versichert.



Ich weiß nicht, warum ich dort so ins Wanken kam, so unsicher wurde. Möglicherweise lag es auch am kargen Frühstück, da ich noch Nachwehen von dem Darmvirus hatte und nicht viel essen konnte, entsprechend etwas zittrig war. Dann diese extrem steile Schotterrinne, wo Du bei einem Sturz ziemlich sicher tödlich unten ankommst, dieser rutschige Schotter und das blöde Seil, das mir etwas zu weit unten war und ich mich nicht richtig daran festhalten konnte. Was macht man in so einer Situation? Bei einem stabilen Sommertag hätte ich gesagt: ich bleibe jetzt mal zehn Minuten stehen, schaue in aller Ruhe in den Abgrund, gewöhne mich an die heikle Stelle und probiere es dann. Wissend, dass noch weitere solche Stellen kommen sollten, dass der Schotter schon ohne Nässe bröselig war und drittens, das Wichtigste, von Südwesten immer dunklere Wolken aufzogen, folgte ich meiner Intuition und drehte um. Denn hier gilt abermals: die heiklen Stellen müssen auf dem Rückweg wieder überwunden werden, und falls ein Regenschauer oder gar Gewitter aufzieht, muss das sehr schnell gehen. In der Eile passieren Fehler, das kann an solchen Stellen böse enden. Im Nachhinein war meine Entscheidung goldrichtig. Die Zeit bis zum einfallenden Nebel war verdammt kurz, und die Lage einfach zu instabil, um sich auf Experimente oder lange Wartezeiten, um die Höhenangst in den Griff zu kriegen, einzulassen. Irgendwann möchte ich den Hexenturm aber nochmal versuchen, aber nur bei absolut stabilem Wetter.

Bild 52: Die Nebelluft stoppte am Grabentörl. Während es nach Norden zu eine kompakte Nebelmasse war, fuhr der Südwind immer wieder hinein und erzeugte kleinräumige Wirbel, trieb beständig den Nebel vom Südhang weg. Marlen Haushofers "Die Wand" lässt grüßen.



Bild 53: Zwischen Bosruck (1992m) und Großem Pyhrgas strömten Hochnebelfelder über die Scharten. Dahinter hohe Bewölkung, möglicherweise der Cumulonimbus incus der herannahenden Gewitterlinie (!). Schande auf mein Meteorologenhaupt, sowas sollte man erkennen. Die Hochnebelfelder dürften schon vorher dagewesen sein, also nichts Advehiertes, sondern lokal durch Niederschläge und nachfolgende Auskühlung Entstandenes.



Bild 54: Nebelgrenze, Admonter Warte, unten das sonnige Ennstal. Nichts deutete daraufhin, dass sich an dieser Wetterlage etwas ändern sollte...



Bild 55: ...bis auf diese, weiteren Anzeichen, dass da irgendwas in der Luft ist. Wellenförmige Altocumulus-Bänder, kleinräumige Schwingungen in der Höhe, schon vor dem Gewitter weiter stromaufwärts verursacht?



Ich suchte mir dann eine Aussichtsbank knapp oberhalb der Hütte, sodass ich im Zweifelsfall rasch absteigen konnte. Nachdem ich davon ausging, dass es bei dem harmlosen Nebelwechselspiel bleiben würde, blieb ich in aller Ruhe sitzen, drehte kleine Videos,



erfreute mich an der Aussicht und versuchte zu verdauen, dass ich kurz zuvor an einer, sicherlich machbaren Stelle umgedreht hatte.

Bild 56: Zunächst kaum Änderung, der Nebel leckte am Haus



Bild 57: Blick zu den Niederen Tauern und Admont im Ennstal, sowie den Südhang hinunter, den wir am Vortag aufgestiegen sind, kurz darauf fuhren von Norden her schon kompaktere Nebelschwaden ins Bild



Bild 58: Binnen weniger Minuten sank die Sichtweite auf unter zehn Meter ab:



Ich stieg dann zur Hütte ab, weil ich einfach nichts mehr sah, und verfolgte die Nebelstimmung von dort aus weiter. Meinen beiden Wanderkollegen, die weiter aufstiegen, schrieb ich eine SMS, dass hier unten dichter Nebel herrsche und die drei Klettersteigler, die zuvor schon aufstiegen, bereits wieder zurückkamen, weil es ihnen zu wenig Sicht war.

Bild 59: Nebelstimmung



Nun vollzog sich ein unheimlicher Wetterumschwung...der Wind wurde immer stärker und drehte durchwegs auf Nord

Bild 60: Starker Nordwind mit steifen Böen an der Scharte



Dabei wurde es spürbar kälter. Irgendwas hatte das sanfte Gleichgewicht, das bis dahin herrschte, gestört, und dieses etwas war viel mächtiger als Hangaufwind und synoptischer Südwind zusammen. Der Wirt meinte noch: "da kommt was, es ist deutlich kälter geworden. Wenn es auf Nord dreht, kommt was." Ich interpretierte es fälschlicherweise als ein lokales Phänomen, tatsächlich aber hatte sich grundlegend etwas geändert, nämlich der Fall b) (siehe oben) war eingetreten, was ich zu dem Zeitpunkt nicht ahnte. Kalte Schauerluft bzw. Outflowluft hatte sich nördlich der Haller Mauern ausgebreitet und das recht hochreichend, sodass sich der Nordwind auf breiter Front durchsetzen konnte. Bild 53 war wohl der erste Vorläufer davon.

Ab und zu gab es ein komisches Grummeln, das aber wegen dem Nebel stark gedämpft war. Der Wirt sagte, es habe gedonnert, wir hörten nichts, erst später hörten wir etwas, es klang aber noch weit weg. Vermutlich hat der Nebel die tatsächliche Entfernung stark verschleiert. Abermals das tückische im Nebel: Du weißt nicht, was kommt, weil Du nichts siehst. Es gab nur diese Anzeichen, im Vorfeld mit den mittelhohen Wolkenfeldern, und kurz davor noch der starke Nordwind, das auf breiter Front einfallende Nebelzeug, das die Sicht auch zum Südhang hin stark vernebelte. Anfangs schien ja noch die Sonne, man konnte die Sonne durch den Nebel erahnen, später wurde das innerhalb kurzer Zeit kompakt. Denken, nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken...

Jedenfalls beschlossen wir ins Tal abzusteigen, da man bei Nebel auch nicht viel großartiges machen kann. Schon beim Abstieg sah ich plötzlich, und damit m e i n e ich plötzlich, Nebelschwaden in einem irren Tempo den Südhang hinabfegen. Sturmböen. Damit war klar, dass sich hinter dem Nebel etwas Konvektives verbirgt, ein Schauer, schlimmstenfalls ein Gewitter. Wir stiegen weiter ab, es fing an zu tröpfeln, wurde stärker, kurz darauf, als wir in die Latschen einbogen, Hagel, meist 0,5cm groß, manche aber auch 1cm groß, dazu weitere stürmische Böen, und dann auch das erste nahe Donnergrollen. Wir beschleunigten, gaben Tempo, aber das Gewitter war praktisch über uns, das Donnern wurde lauter, der Hagel stärker. Dann kam der besagte Wiesenhang mit den Kühen, exponiert, nur einzelne Bäume an der Nase des Hangs, völlig schutzlos. Wir warfen die Stöcke in diese Wiese und stellten uns unter eine Baumgruppe, am Rande des kleinen Waldes unterhalb der Admonter Warte. Rasch bildeten sich Hagelansammlungen, wir wurden gut nass, von meiner Regenjacke tropfte es in die Hose, brrrr. Am Schlimmsten war aber, dass wir keine Alternative hatten. Der Wiesenhang war vorher schon matschig, morastig, nicht wirklich geeignet, um sich zusammenzukauern. Ich begutachtete fachmännisch den Hagel, überwiegend festes, weißes Eis, die größeren Stücke (> 0,5cm) mit mit einer durchsichtigen Hülle bzw. nur an der Oberseite durchsichtig, sah komisch aus. Ich meinte zu meinen Kollegen, dass das auf viel Flüssigwasser hindeutete, und dass das Glück im Unglück sei, dass die Luft in allen Höhen so feucht sei, da dies großen Hagel verhindere. Ob das wirklich stimmte, sei mal dahingestellt, jedenfalls gab es keinen Hagel > 1cm.

Danach folgte ein Wechselbad der Gefühle. Der erste Hagelschlag ließ nach, die Erdblitze hielten sich in Grenzen. Ich sagte: der Hagel hört auf, fing er wieder an. Ich meinte: der Regen lässt nach, fing er wieder an. Dann schien es etwas nachzulassen, im Westen sah ich einen blauen Fleck, die Rückseite des Gewitters nahte. Ich erklärte noch: die meisten Blitze gibt es im Niederschlagsbereich, der blaue Fleck wurde größer. Ich stand auf, versuchte vergeblich den widerspenstigen Regenschutz über den Rucksack zu ziehen. Dann zogen Nebelschwaden vom Tal auf, verdeckten den blauen Himmel. Ich meinte: das ist nur Nebel, der blaue Fleck ist noch da. Genau in diesem Moment leuchtete es praktisch über uns hell auf, wie in Zeitlupe sah ich uns zusammenzucken, und dann schepperte es heftig. Der war nah. Schnell hockten wir uns alle hin, kauerten eng zusammen. Es war tatsächlich der letzte Einschlag in unmittelbarer Nähe, der Schwerpunkt des Gewitters zog, auch laut Wetterradar, nördlich vorbei. Dennoch sagte ich jetzt lieber gar nichts mehr und wir warteten noch gut zwanzig Minuten, ehe der blaue Fleck so breit wurde, dass die Sonne schon ins Tal einfiel und wir es riskieren konnten, wieder ins Freie zu treten. Insgesamt saßen wir gut eine Stunde und ließen uns nassregnen bzw. einhageln. Kann mich nicht erinneren, mich einmal so sehr auf die Sonne und blauen Himmel gefreut zu haben.

Bild 61: Nach dem Gewitter, Buchstein und Gesäuse im markanten Kontrast zur Gewitterwolke, im Tal breitet sich Nebel aus.



Wir stiegen dann teils wieder bei Sonne zur Grabenalm ab und erwärmten uns mit Kaffee (ich sorgte noch für Gelächter in der Hütte, als ich einen Capuccino bestellte und der Wirt freundlich, aber vergnügt meinte, er habe keine Genehmigung für eine Caféteria, aber er könne mir einen Kaffee mit Milch anbieten, die anderen Gäste lagen da schon halb unterm Tisch *g*).

Bild 62: Besagter Wiesenhang: zu lang, um bei akuter Blitzschlaggefahr durchzulaufen, zur Hütte hinauf zu weit bzw. ebenfalls exponiert (zumal das Gewitter sozusagen von hinten bzw. Nordwesten kam), was soll man da machen? Hoffen, dass der Blitz nicht in den Baum einschlägt, unter dem man gerade sitzt.



Bild 63: Stattliches Kalb, das noch gesäugt wird



Bild 64: An der Rückseite des Gewitters bauten weitere Zellen an



Bild 65: Prächtige Gewitterwolken, deren Anblick man genießen kann, wenn man nicht drunter ist.



Ich fuhr dann mit Wolfgang zurück nach Wien, während Marc Richtung Deutschland aufbrach.

Bild 66: Das Gesäuse, der Name kommt vom "Sausen" der Enns zwischen den Steilwänden von Buchenstein und Ödstein/Hochtor, dort zwängt sich die Enns auf 560-600m durch das Gebirge, das mit Steilwänden bis zu 2200m aufragt, was einen enormen Höhenunterschied ergibt.



Bild 67: Im Westen wartete bereits die nächste Gewitterzelle



Bild 68: Von der Ennsbrücke, eine Holzbrücke, links Himbeerstein (1222m), rechts Haindlmauer (1435m)



Dann ging es weiter über Hieflau und Eisenerz, inmitten der Eisenerzer Alpen. Eisenerz besitzt den größten Eisenerz-Tagbau Mitteleuropas. Die Stadt existiert urkundlich seit mindestens 550 Jahren. Aus diesem Jahrhundert stammt auch die gotische, sehr gut erhaltende Kirche dort, die alleinig schon ein Besuch des Örtchens Wert ist. Dieser hat mit Rückgang der Bedeutung des Eisenerzabbaus vor allem in den 80ern einen rapiden Bevölkerungsschwund erlebt (auf die Hälfte, heute noch 5000 Einwohner).

Bild 69: Die Nordrampe der Passstraße zum Präbichl (1226m), der das Erzbachtal und das Vordernbergertal verbindet.



Bild 70: Blick auf den Tagbau des Erzberges



Der Erzberg schaut in voller Pracht so aus: [upload.wikimedia.org]

Von Norden kommend ein urgewaltiger Anblick, habe bisher nichts Gewaltigeres gesehen in den Alpen. Dort wird seit dem 11. Jahrhundert Erz abgebaut. Es handelt sich um das weltweit größte Vorkommen an Eisencarbonat (Siderit).

Von dort ging es über Troifach und Leoben, beides große Industrieorte, weiter zu Bruck an der Mur und über denselben Weg wie auf der Rückfahrt bei prächtigem Sonnenuntergang und angefärbten Schleierwolken zurück nach Wien.

Damit endet auch der Krimi dieser Wandertour, ich hoffe auf weitere diesen Sommer und Herbst, wenngleich hoffentlich weniger gewittrig.

© www.inntranetz.at