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Eckdaten:
- Wegführung: Rodaun (10.50) - Bierhäuslberg - Franz-Ferdinand-Haus - Parapluieberg - Josefswarte - Muglhöhe - Großer Sattelberg - Ghf. Seewiese - Gießhübl Schafhütte (14.25)
- Länge: 10,0 km
- Höhenmeter (Aufstieg): 500 hm
- Reine Gehzeit: ca. 3 Stunden
- Viecher: Schwarzspechte, Katze
Glück muss man haben, oder wissen, was möglich und sicher ist. Es war von vorne herein für mich klar, dass aufgrund der labilen Wetterlage höhere Berge ausscheiden. Ich peilte wieder einmal das Höllensteinhaus an, aber plante eine Exit-Strategie für den Fall, dass die Gewitter schneller waren. Schon am Vortag rechnete das deutsche Lokalmodell entlang des Alpenostrands einzelne, heftige Gewitterzellen, die sich nur langsam nordwärts bewegen sollten.
Um 10.50 startete ich wie so häufig an der Endhaltestelle der Linie 60.
Bild 1: Die Ente bewegte sich nicht.
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Bild 2: Die Katze bewegte sich zu schnell.
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Bild 3: Fast perfekt getarnt: Der Grünspanner (Chlorissa viridata ODER Chlorissa chloraria).
Die genetisch eng verwandten Falter kann man anscheinend nur am Genital unterscheiden. Hab mir das Zumpferl aber nicht angeschaut.
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Bild 4: Scorzonera purpurea (riecht nach Schokolade)
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Bild 5: Dann die Überraschung: Inmitten der Bärlauchmatten wuchs die Türkenbundlilie (Lilium martagon)
Nicht nur am Bierhäuselberg, sondern am gesamten Weg sah ich einzelne Exemplare stehen.
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Bild 6: Am seidenen Faden.
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Bild 7: Beim Übergang zum Franz-Ferdinand-Haus dampfte es wie im Regenwald.
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Bild 8: Ein stattlicher Schwarzspecht entging nicht meiner Aufmerksamkeit.
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Das Schutzhaus hatte naturgemäß Ruhetag, aber der Kühlschrank war geöffnet und so genehmigte ich mir die erste Erfrischung.
Bild 9 und 10: Hauswurzen (Sempervivum spec.) am Gipfel des Parapluiebergs.
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Bild 11: Vom Parapluieberg ein erster Eindruck der Wetterlage, mit Schöpfl rechts.
Entgegen meiner Erwartungen lockerte die tiefe Bewölkung immer nur kurzzeitig auf, ging aber rasch wieder zu. Dadurch sollte es generell schwierig werden, sich türmende Gewitterwolken in der Umgebung zu erkennen. Im Vordergrund zogen Cumulus fractus durch, die auf aufsteigende Feuchte hinwiesen. Sie hatten aber keine Verbindung zur darüberliegenden kompakten Wolkendecke und wiesen demzufolge nicht auf eine akute Neubildung hin. Mit anderen Worten: Ich hatte noch etwas Zeit. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich schon die ersten Schauerzellen südlich vom Triestingtal gebildet, die aufgrund der geringen Höhenströmung keine Tendenz zeigten, sich nach Norden zu bewegen.
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Bild 12: Diptam (Dictamnus albus)
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Bild 13: Zweiblättrige Waldhyazinthe (Platanthera bifolia)
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Bild 14: Blick von der Josfefswarte über die Föhrenberge nach Süden:
Hier begann ich bereits allmählich, von meinem Ursprungsplan, bis zum Höllensteinhaus zu gehen, abzurücken. Der Hohe Lindkogel war bereits vollkommen eingehüllt von tiefbasigen Quellwolken. Über dem Schöpfl regnete es gerade leicht. Dazwischen war aufgrund des Bewölkungsbild unklar, wie schnell es gehen würde.
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Bild 15: Großer Flösslberg (583m), rechts Hirschenstein (785m) und Großer Hollerberg (776m)
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Bild 16: Nächster Fund des Tages: Safran-Riesenschirmling im "Paukenschlegel-Stadium".
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Ich kann es nur wiederholen: Obwohl ich hier schon so oft gehe, ist es nie fad. Man entdeckt immer wieder etwas Neues und das macht auch diese kurzen Wanderungen recht kurzweilig. Vom Großen Sattelberg stieg ich direkt zur "echten" Seewiese ab, wo sich nach Starkregen oder Schneeschmelze regelmäßig eine Lacke bildet. Dieses Mal folgte ich dem Wegerl zur westlichen angrenzenden Wiese. Ein Fest für Augen und Nase, sofern man kein Gräserallergiker ist.
Bild 19: Das Kleine Mädesüß (Filipendula vulgaris)
Die Blüten sind nutzbar für Sirup oder Marmelade. Wurzelknollen und junge Laubblätter können für Salat verwendet werden.
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Bild 20: Esparsetten, Salbei und CO verwandelten die Wiese in ein buntes Blütenmeer.
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Bild 21: Ein Spanner (Crocota spec.) und Fleckenhörniger Halsbock (Paracorymbia maculicornis) teilen sich die Blüte.
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Bild 22: Gewöhnliche Knäuel-Glockenblume (Campanula glomerata)
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Bild 23: Ein Blick zurück nach Norden:
Ein paar flache, harmlose Cumuli im unteren Bereich und einzelne tiefe Altocumuli im oberen Bereich. Etwas diffuse hochliegende AC/CI-Bewölkung im Hintergrund. Nicht unmittelbar bedrohlich wirkend, aber auch nicht ganz sauber. Und vor allem gab es nun doch ein deutliches Auflockern mit längeren sonnigen Phasen.
Es gibt wohl nicht viele Wanderer, die Sonnenschein als "Gefahr" betrachten und ihre Route entsprechend anpassen. Als Meteorologe ist einem jedoch klar, dass aufgelockerter Himmel gefährlicher ist für Gewitterbildung als eine kompakte, tiefbasige Wolkendecke - es kann länger einstrahlen und sich Energie aufbauen. Der Waldboden war triefend feucht und gatschig, also reichlich Feuchte vorhanden, um in hochreichende Quellwolken umgesetzt zu werden.
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Bild 24: Beim ehemaligen Gasthaus Seewiese bestätigte das Wolkenbild im Süden meine Bedenken:
Vor der monoton dunklen Wolkenwand zogen schneeweiße Cumulus humilis durch. Sie deuteten auf neue Aufwindschläuche neben der Schauerzelle hin. Durch den Lichteinfall erschienen sie hell. Die karfiolartige Form wies ebenso auf kräftige Aufwinde hin, im Gegensatz zu Stratusbänken an der Rückseite von Gewittern. Damit war klar: Das Höllensteinhaus würde sich nicht mehr, oder nur knapp ausgehen, und dort hatte ich dann das Problem, dass das nächste öffentliche Verkehrsmittel in jede Richtung mindestens eine Stunde entfernt war. Ich stieg daher nach Gießhübl ab.
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Bild 25: Die schöne Blumenwiese und sich türmende Quellwolken Richtung Westen.
Innerhalb von Minuten zog der Himmel komplett zu mit hochreichenden Quellwolken. Richtung Südosten sah ich auch Ansätze eines jungen Eisschirms (Cumulonimbus capillatus).
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Bild 26: Für ein Foto der Albino-Glockenblume nahm ich mir trotzdem noch die Zeit.
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Bild 27: Bei der Schafwiese wurde ich bestätigt: Es rollte eine ausgeprägte Böenwalze (arcus) von Süden heran!
Nördlich vom Anninger schüttete es bereits kräftig und es donnerte schon.
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Bild 28 und 29: Nickende Distel (Carduus nutans) nahe der Nemecek-Hütte.
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Bild 30: Die Böenwalze rückte näher und zog dabei von Südwest nach Nordost.
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Bild 31: "Ich muss weg!"
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Bild 32: Links der Aufwindbereich mit tänzelnden fracti.
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Trotz des bedrohlichen Wolkenbildes sah ich noch zwei Mountainbiker hinauffahren und auch einen älteren Spaziergänger mit Hund und Frau in den Wald gehen.
Bild 33: Aufwindbereich genau über dem Eichberg hinter der Schafhütte.
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Bild 34: Auf- und Abwindbereich.
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Bild 35: Hagelverdächtige Färbung.
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Dann frischte der Wind auf und die Blitzrate stieg an. Zeit, sich einen Unterstand zu suchen. Ich setzte mich unters Dach der Hütte und schaute entspannt dem Gewitterdurchzug zu. Mit einsetzendem Regen fing es praktisch sofort an zu hageln, wenngleich es bei kleinen Körnern um 5mm blieb. Es regnete kräftig, aber nicht extrem und bis auf ein paar Naheinschläge blieb das Gewitter nicht weiter bedrohlich.
Als der Bus mit dem Gewitter am Parkplatz ankam, stieg eine Gruppe junger Sportler aus, die sich panisch in Sicherheit brachten und von der Hüttenwirtin mit Decken versorgt wurde. Sie hatten einem falschen Wetterbericht geglaubt, wonach es nach Abzug der morgendlichen Schauer den Rest des Tages hätte trocken bleiben sollen. Der arme Lieferant der Hütte stieg im stärksten Regen aus, um die Anlieferung zu bringen. Bis er wieder einstieg, war er vollkommen durchnässt.
Ich genoß mein Schladminger vom Fass und Cevapcici vom Holzkohlegrill. Kulinarisches Stormspotting sozusagen.
Wetterlage:
Die Bedingungen vor der Gewitterbildung waren ideal: Bodennah eine konvergente Strömung mit Westwind über dem Mostviertel und Nordostwind im Wiener Becken. Genau über dem Wienerwald Aufsteigen. Hohe Taupunkte und damit ausreichend Labilität. Mit der Intensivierung der Niederschläge und Hagelbildung wurde das Ausblasen aus den Zellen stärker und die Linie verlagerte sich mit 25-30kt Spitzen nach Nordosten, womit sie am Nachmittag dann auch Wien überquerte. In Transdanubien erfuhren sie nochmals eine Verstärkung, dort fielen 12-14mm in einer Stunde, innerstädtisch nur 1-3mm. Spitzenreiter des Tages war Neunkirchen mit 49mm, in Maria Enzersdorf wurden es immerhin 21mm.
Nachfolgendes Kartenmaterial stammt von kachelmannwetter.com:
Satellitenbild von 14.30 Uhr Lokalzeit, Wasserdampfbild und sichtbarer Kanal:
Großräumig wird mit einem warmen Förderband vom Balkan her feuchtlabile Luft nach Mitteleuropa geführt. Darin eingelagert mehrere größere Gewittercluster. Dann gibt es einen schmalen, länglichen Bereich mit sehr trockener Luft in der oberen Troposphäre (10-15km Höhe), dark stripe genannt. Dort, wo der Kontrast am stärksten ist (Wasserdampfgradient), befinden sich bevorzugt Hebungszonen, die als Auslösungsort für Gewitterbildung dienen können. Ein solcher Gradient herrschte am Freitagnachmittag über dem Osten von Österreich.
Im sichtbaren Kanal rechts sieht man die fragliche Gewitterzelle knapp südwestlich von Wien. Ihr Amboss, die Oberseite der Gewitterwolke, wird nach Nordwesten ausgeweht. Das deutet die Orientierung der Höhenströmung an. Der Kern der Gewitterwolke befindet sich am Südrand des ausgewehten Amboss. In dessen Umgebung kann es verbreitet gut einstrahlen und sich Energie aufbauen. Gewitterwolken neigen vor allem bei schwacher Höhenströmung dazu, bevorzugt dorthin zu ziehen, wo es die energiereichste Luft gibt. Das erklärt, weshalb das Gewitter sich nordostwärts verlagert hat. Richtung Nordwesten war die Sonne durch den eigenen Amboss (Cumulonimbus incus) abgeschattet.
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Radarbilder im stündlichen Intervall von 12 bis 16 Uhr über Niederösterreich (Ausschnitte):
Es handelt sich aus Lizenzgründen um eine fünfminütige Prognose des Radarbilds, also nicht Iststand, aber nahe dran. Zu Beginn, als ich noch am Weg zum Franz-Ferdinand-Haus war, befanden sich bereits erste kleinere Schauerzellen zwischen Schneeberg und Triestingtal. Um 13 Uhr wuchsen die Zellen bereits etwas zusammen, verlagerten sich aber noch nach Nordwesten. Zwischen 13 und 14 Uhr erfuhren die Gewitter plötzlich eine Richtungsänderung (Pfeil) und verlagerten sich nordostwärts. Bild 24 bestätigte meinen Eindruck, dass der Bereich, wo durch neu gefallenen Niederschlag tiefe Wolken entstanden, deutlich näher gerückt war. Um 15 Uhr befand ich mich bereits bei der Hütte und das Gewitter zog unter Abschwächung über mich hinweg. Um 16 Uhr begannen die Auflösungstendenzen, nur im Nordosten verstärkte es sich abermals.
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Radiosondenaufstieg von Wien, 24. Mai 2024, 14 Uhr Lokalzeit (an der Hohen Warte, Döbling, kurz vor dem Gewitter):
Die Schichtung in der Höhe war recht trocken und die Labilität zunächst bei einer Absinkinversion in ca. 5km Höhe begrenzt. Die ausgemessene Obergrenzentemperatur der Gewitterwolke lag um -56°C. Das entspricht einer Höhe von rund 10km (Flight Level 340) direkt an der Tropopause. Das Windprofil zeigt erst oberhalb der Absinkinversion nennenswerte Höhenwinde über 40kt (rund 72km/h), darunter war das Windprofil uneinheitlich mit Südost- und Südwestwinden. Bei besserer Labilität und früher erreichter Tropopause hätte sich das Gewitter womöglich intensiviert und wäre eher mit der Höhenströmung nordwestwärts gezogen. So schwächte es sich, auch aufgrund des Trockeneinschubs oberhalb von 3km Höhe rasch wieder ab.
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Insgesamt ein anschauliches Beispiel, wie knifflig die Gewitterprognose manchmal ist. Die ortsfesten Zellen waren nicht das Problem. Erst mit plötzliche Nordostverlagerung machte eine achtsame Routenänderung notwendig. Diesen Zeitpunkt muss man erwischen oder sich besser eine andere Region oder einen anderen Tag aussuchen, wenn man gefahrlos wandern möchte.
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