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27.+28. Juli: Patscherkofel, Viggarspitze und Abstieg nach Mühltal

Eckdaten:

  • Wegführung: Meißner Haus (1707m, 8.15 bzw. 9.15) - Boscheben (2035m, 10.10) - Patscherkofel (2247m, 11.00) - Boscheben - Viggarspitze (2306m, 13.15) - Viggar Hochleger - Meißner Haus (15.00)
  • Länge:12,0 km
  • Höhenmeter (Auf/Abstieg): 900 hm
  • Gehzeit Gesamt (inkl. Fotografierpausen): 6 Std.
  • Schwierigkeit: - keine
Der dritte Tag ist schnell erzählt, nach einer warmen Nacht mit einem Schnarcher verschlief ich in der Früh prompt und kam erst um viertel 9 los. Ursprünglich wollte ich die einsame Route auf den Morgenkogel (2607m) nehmen, der zu Beginn auch markiert ist. Allerdings verlieren sich die Markierungen rasch nach etwa 100 Höhenmeter im Unterholz. Ich fand relativ bald den weiteren Steig nicht mehr und es war schon ziemlich heiß. Was tun? Mühsam den weiteren Aufstieg suchen, dasselbe dann wieder beim Abstieg. Zudem hieß es von der Hüttenhilfe, dass der Steig auch im oberen Bereich weglos sei und Orientierungsvermögen gefragt sei. Darum machte ich mir weniger Sorgen, sah man das Gipfelkreuz doch schon von weitem. Aber die Vorstellung, bei Temperaturen bereits über der 20 Grad-Marke noch den Weg suchen zu müssen, schreckte mich ab. Also kehrte ich um und beschloss stattdessen, Patscherkofel und Viggarspitze zu beehren.

Tag 3: Patscherkofel (2247m) und Viggarspitze (2306m)

Bild 1: Altocmulus castellanus

Dieser Anblick brachte meine Selbstsicherheit für kurze Zeit ins Wanken, hatte ich doch gemäß den Modellen mit geringerem Gewitterrisiko am Sonntag gerechnet. Die Wolkenart rechts war jedoch lupenreiner Altocmulus castellanus mit klaren, vertikalen Auswüchsen und damit deutlichem Anzeichen von Feuchtlabilität im mittleren Wolkenstockwerk. Im Hintergrund befanden sich ausgedehntere Altocumulus-Felder. Sollte es bereits am Sonntag losgehen?

Vielleicht brachte mich auch der Altocumulus vorzeitig beim Morgenkogel zum Abbruch, gab es dort doch immerhin nur eine Auf- bzw. Abstiegsroute. Zudem hatte ich auch eine längere Runde geplant, aber dafür war ich zu spät dran (ärgerlich, dass es erst ab 7.30 Frühstück gab, an Tagen mit 25 Grad in 1500 m eindeutig zu spät). Also kehrte ich, um die besagte Runde zu absolvieren, wo ich jederzeit abbrechen konnte und zudem Hütten am Weg lagen (Patscherkofelhaus, Boscheben). Ich stieg den vergleichsweise kühlen Karrenweg vom Meißner Haus nach Boscheben auf.

Bild 2: Serles (2717m), rechts Sonnenstein (2241m, weglos)

Unterwegs ergeben sich schöne Ausblicke auf die Serles, rechts die Stubaier Alpen, ganz links das Kirchdach.

Bei Boscheben angekommen überlege ich kurz einzukehren, verwerfe den Gedanken aber wieder. Ich möchte bei der Hitze nicht allzu lange am Berg sein, und gehe weiter zum Patscherkofel, unterwegs nehme ich noch diesen Gipfel auf knapp 2100 m mit, der zu einem Motorsportclub gehört. Unterwegs treffe ich ausgerechnet das Ehepaar aus Regensburg wieder, die vom Patscherkofelhaus den Zirbenweg bis zur Glungezerbahn gehen, um mit dieser hinunterzufahren. Von allen Begegnungen in diesen vier Tagen war das sicherlich die Sympathischste.

Bild 3: Vorgipfel

Bild 4: Am Patscherkofel holt mich schnell wieder der Alltag ein

Viele Touristen sind am Gipfelplateau, ich fühle mich gestresst und gehe bald weiter, allerdings nicht ohne einen Blick auf das im Umbau sich befindliche Patscherkofelradar zu werfen.

Vor dem Umbau sah es noch so aus (Februar 2009):

In der Höhe ist es dunstig geworden. Saharastaub sorgt für eine deutliche Lichttrübung und nur noch mäßige Fernsicht. So gesehen bereue ich den Alternativplan nicht. Denn mit der Kreuzspitze am Vortag hatte ich ohnehin die maximale Fernsicht, die am benachbarten und niedrigeren Morgenkogel kaum besser gewesen wäre. Cirrus in der Höhe kündigt den nahenden Wetterumschwung an, in mittleren Höhen gesellen sich Föhnfische dazu (Altocumulus lenticularis), denn der Wind hat seit Boscheben deutlich zugelegt, am Gipfel weht er kräftig mit Böen um die 60 km/h, am Nachmittag sollten noch Böen um die 90 km/h auftreten.

Bild 5 : Saharastaub

Nach Süden ins Wipptal bis zur Amthorspitze reicht die Aussicht, am Alpenhauptkamm (Tribulaune) hat sich dagegen eine Föhnmauer gebildet, tiefe Wolken, die über die Bergkämme schwappen und die zunehmend föhnige Südströmung verkörpern. Sehr dunstig, kein Vergleich zum klaren Himmelsblau am Vortag, der Saharastaub hat ganze Arbeit geleistet.

Bild 6: Kammweg

Blick vom teils felsigen Kamm zwischen Patscherkofel und Viggarspitze (rechts) und Neunerspitze (links), wo kurze Zeit vor der Aufnahme laut Alpinsicherheit ein Wanderer tödlich verunglückte. Das Besondere an diesem Kamm ist, dass es sich um eine sogenannte "Bergzerreißung" handelt, so gehörte der gesamte nordseitige Hang, der jetzt ein Hochtal, das Jochtal, bildet, ehemals zum Verbindungsplateau zwischen Patscherkofel und Glungezer, ist aber mit der Zeit abgerutscht.

Bild 7: Gegenseite

Kurz vor der Viggarspitze ein Blick zurück, hier wird die Zerreißung besonders deutlich. Der Grat wurde aufgespalten und hat ein kleines, wildes Tal mit vielen Felsblöcken gebildet. Bis dahin ist der Wind noch zahm, was sich aber bald ändern sollte.

Bereits unterhalb der Viggarspitze, kurz vor der zweiten Abzweigung zum Zirbenweg, nimmt der Südföhn bis auf Sturmstärke zu. Ich muss notgedrungen Kappe und Sonnenbrille wegpacken, weil sie mir sonst vom Kopf geflogen wären. Die Stunde ohne Sonnenschutz habe ich später durch einen Sonnenstich bezahlt. Beim Gipfelanstieg muss ich immer wieder kurz stehen bleiben, weil der Wind so stark ist. Ich schätze die Böen auf 70-80 km/h, im Gipfelbereich durchaus auch 90 km/h.

Bild 8: Kurzes Beweisfoto bei Sturmböen

Im Vordergrund links Neunerspitze, im Hintergrund Unterinntal, rechts das doppelköpfige Kellerjoch (2344m).

Ich halte mich keine fünf Minuten am Gipfel auf und steige bei unbarmherzig blasendem Sturm wieder ab, über einen sonnenexponierten und leider längst nicht so windigen Hang unterhalb der Viggarspitze kehre ich zum Meißner Haus zurück. Die Hitze ist unerträglich geworden, ich habe Kopfweh und bleibe bei jedem schattigen Platz stehen. Im Meißner Haus angekommen sind sämtliche Familien eingetroffen, die mit ihren Kindern eine Woche Bergferien verbringen. Die Hüttenwirte, selbst Eltern, machen dabei geführte Wanderungen - unter den Familien sind fast nur Deutsche, einige auch mit keinerlei Bergerfahrung.

Ich fühle mich vollkommen deplatziert, kann mich zumindest ab und zu mit einem fast-geschiedenen Vater aus dem Ruhrpott über den technologischen Wandel und seine Vor- und Nachteile unterhalten. Um 16.55 reißt die erste kräftige Föhnböe (Rotorwind aus Nordost) meine sieben Jahre alte, ohnehin schon sehr zerfledderte Alpenvereinskarte endgültig auseinander.

Auf der Hütte wird es schwierig, Ruhe zu finden. Lärmende Kinder beeinträchtigen mein Bedürfnis nach Erholung erheblich. Selbst Schuld, wusste ich schon im Vorhinein von den Bergferien. Im Nachhinein hätte ich durchaus zwei weitere Tage auf der Glungezerhütte verbringen können, aber in der kurzfristigen Planung kam mir diese nicht in den Sinn.

Geschwächt durch die heiße Wanderung lege ich mich bereits um halb acht mit schmerzenden Gliedern ins Lager, offensichtlich Folgen des Sonnenstichs. Richtig schlafen geht aber auch nicht, immer wieder kommen Kinder ins Lager, abends muss eine Familie - jene, die nach eigenen Aussagen "keinerlei Bergerfahrung hat" den Vogel abschießen. Alle sind mit Stirnlampen ausgerüstet, aber statt das - durchaus vorhandene - Rotlicht zu benutzen, das am Lager angebracht wäre (Rotlicht blendet nicht, Weißlicht schon - man vergleiche Sonnenuntergang und Mittagssonne, wo kann man wohl länger reinschauen?), fuchteln sich ununterbrochen mit dem grellen Weißlicht herum. Im Lager ist es fast taghell. Die Mutter muss dann unbedingt noch ihr Buch weiterlesen, mit voll aufgedrehter Stirnlampe, der Sohnemann liegt ebenfalls mit leuchtender Lampe in seinem Schlafsack. Ein No-Go, sorry! Bereits vorher musste ich mir anhören, wie sie ihre kleine Tochter ständig anherrschte, sie solle leise sein, dann aber selbst gut eine Stunde eine Gute-Nacht-Geschichte erzählte, die so laut war, dass ich sie trotz Ohrnstöpsel durchhörte. Ich geriet zunehmend in Wallung und sagte wohl nur deswegen nichts, weil es die letzte Nacht für mich war und ich im Falle eines "etwas sagen" explodiert wäre.

Manchmal muss man sich für seine Landsleute wirklich schämen, die sich benehmen, als wäre das gesamte Lager ihr Schlafzimmer. Die Gute-Nacht-Lese-Aktion brachte mich jedenfalls um den Schlaf, denn als ich richtig müde war und fast schlief, konnte ich nicht, und als es wieder leiser wurde, war ich wieder zu wach. Dazu wehte draußen Backofenföhn und es war heiß trotz leichtem Seidenschlafsack.

Tag 4: Abstieg nach Mühltal

Mehr oder weniger ausgeschlafen würgte ich in der Früh mein Frühstück herunter, und ging bereits um halb 8 vom Haus weg, mit zunehmender Übelkeit, die ich noch auf den Sonnenstich vom Vortag zurückführte. Die Übelkeit legte sich erst mittags, als ich im angenehm abgekühlten Innsbruck ankam.

Bild 1: Die Serles entschädigte

Bild 2: Die Bewölkung war durchaus interessant.

Beim Abstieg entlang des Fahrwegs gab es flache Cumulusbewölkung und tiefen Altocumulus. Beim Start war der Föhn am Meißner Haus eingeschlafen, griff aber auf 1600 m vorübergehend nochmals durch, danach je nach Talgeometrie ein Wechselspiel aus warmer Luft und erfrischender Luft in Bachnähe.

Bild 3: Wasserspiele

Bild 6: Schlusspunkt

Wenige Minuten, nachdem der Bus abfuhr, erreichte ich Mühltal. Machte aber nichts, ich holte mir im Supermarkt gegenüber Cola und Salzstangerl gegen die Übelkeit bzw. den Elektrolytverlust - und bemerkte im Hintergrund zunehmend tiefe Bewölkung von Norden einströmen, während darüber noch Südwind herrschte. Mein Bauchgefühl bestätigte sich leider: Die Kaltluft strömte seicht und unspektakulär ein, der Luftmassenwechsel vollzog sich weitaus harmloser als erwartet.

So gab es in Innsbruck lediglich leichte Regenschauer am Mittag, auch auf meiner weiteren Zugfahrt nach Wien ereignete sich nichts Spektakuläres mehr.

Epilog: Das angekündigte Gewitter in Wien blieb aus.

Die Ursache für das ausbleibende Gewitter in Wien stellte die Meteorologen vor viele Rätsel. Das Gewitter hatte sich mit höchster Radarreflektivität noch unmittelbar südwestlich von Wien befunden. Alles sah nach einem Volltreffer aus. Wer hier nicht gewarnt hat, handelte fahrlässig. Innerhalb weniger Minuten löste sich das Gewitter im Südteil jedoch vollständig aus. Als hätte jemand den Stecker gezogen.

1. Mein erster Gedanke war, dass die vorlaufende Druckwelle über den Wienerwald hinweg Schuld daran war. Diese Theorie hat sich jedoch nicht bestätigt, da die kalte Luft dem Gewitter nicht sonderlich weit vorauslief, und damit stabilisierende Föhnwinde (in dem Fall: Bora) vom Wienerwald hinab nicht vorlagen.

2. Mein zweiter Gedanke war, dass vielmehr Südföhn für Stabilisierung und zu trockene Luft im Wiener Becken bzw. am Alpenostrand verantwortlich war. Dafür sprachen kräftiger Südwind und verhältnismäßig trockene Luft auf der Rax und in Wiener Neustadt. Zweifellos wurde das Gewitter von Süden regelrecht von trockener Luft aufgefressen.

Für Laien kann man diese Erklärung durchaus stehen lassen: Trockene Luft aus Süden hat das Gewitter zerstört.

3. Der wahre Grund ist jedoch komplexer: Bereits am Nachmittag und frühen Abend gab es in Unterkärnten und der südlichen Steiermark kräftige Sturmböen, mit umgestürzten Bäumen und lahmgelegter Südbahn (ich rechnete fix mit lahmgelegter Westbahn, während sich das Unwetter ganz woanders abspielte). Um die Ursache dafür zu begreifen, muss man noch weiter in den Westen schauen: Im Tessin gab es am Mittag mit einem trockenen Förderband aus Süden Orkanböen, auf den Bergen wurden Windspitzen über 150 km/h gemessen - in Kombination mit Gewittern. In Winterstürmen ist dieses trockene Förderband auch als "Sting Jet" bekannt und für heftige Windböen verantwortlich, die auch ohne Niederschlag auftreten können - sondern schlicht durch die Verdunstung von Wolkenluft, die zur Abkühlung führt. Das funktioniert natürlich besonders gut, wenn die Luft zuvor extrem trocken ist, wie derzeit durch die Hitzewelle und extrem trockenen Böden. Es ist dennoch das erste Mal seit Bekanntwerden des Sting Jet-Phänomens (rund 10-20 Jahre), dass man ein solches im Sommer beobachtet.

Ich habe mir die Satellitenbilder angeschaut und über Unterkärnten und der Südsteiermark zwar keine ausgeprägte Trockenzunge gefunden, aber einen schmalen, deutlichen Bereich mit wolkenlosem Himmel, der sich zum Zeitpunkt der stärksten Böen in der Südoststeiermark (dort gänzlich ohne Gewitter) von Süden hereinschob. Daher möchte ich nicht ausschließen, dass ein Sting Jet ebenfalls an den Böen beteiligt war.

Nicht nur: In Unterkärnten hatte Gewitterniederschlag und Verdunstungskälte ein markantes Druckpolster erzeugt. Der Luftdruck im Lavanttal stieg markant an, die Druckdifferenzen über Kor- und Packalpe hinweg wurden enorm, später auch zwischen Zeltweg und Kapfenberg entlang der Mur-Mürzfurche. Sehr kalte Luft in Unterkärnten stand trocken-heißer Luft in der Steiermark gegenüber. Das Druckgefälle wurde durch schwere Sturmböen ausgeglichen.

Das ist nun eine Henne-Ei-Frage: Hätte es dieses Druckpolster auch ohne Sting Jet gegeben? Die Wetterlage war schließlich selten, Gewitter zuerst in Kärnten bedingt durch den herannahenden Kurzwellentrog, der bereits in Norditalien für mindestens elf (11 !) Tornados gesorgt hatte, und erst fortschreitend weiter im Nordosten. Durch die zeitversetzte Gewitterbildung konnte sich dieses Druckpolster nur aufbauen, die Druckwelle raste nordostwärts und erreichte just zum gleichen Zeitpunkt Wien, als das Gewitter über dem Wienerwald vor den Toren Wiens stand. Die Druckwelle hat das Gewitter regelrecht weggedrückt. Und wodurch auch immer der Wind verursacht werden mag, ob Druckwelle oder synoptisch bedingter Druckgradient, Südwind, der vom Rax-Schneeberg-Semmering-Wechsel-Bucklige Welt-gebiet herabkommt, macht sich als Föhnwind bemerkbar, also mit trockener Luft.

Fazit:

Während es nördlich und westlich von Wien Sturmschäden durch das Gewitter zu beklagen gab, blieb Wien durch den Sturm vom Gewitter verschont. Paradox, aber wahr. Eine Kombination aus Druckwelle und Südföhn hat das Gewitter von Süden her vertrocknet, übrig blieben lebhafte, aber nicht kräftige Windböen.

Ist so etwas vorhersagbar?

Wettermodelle helfen da nicht weiter, das Radar auch nicht. Einzig ein Blick auf die Satellitenbilder und das Wissen um die Vorgeschichte (bereits Sting Jet in Norditalien) hätten eine Vorahnung aufsteigen lassen können. Dennoch würde es kein Meteorologe wagen, bei einem markanten Echo vor den Toren von Wien mit ungerührter Selbstsicherheit auf eine Warnung zu verzichten.

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