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26.9.12 - Schiereck (2366m) und Glingspitze (2433m), Radstädter Tauern

Eckdaten:

  • Wegführung: Tappenkarseehütte (1820m, 8.15) - Weißgrubenscharte (2255m, 9.35) - Schiereck (2366m, 10.10) - Haselloch (2136m, 10.45) - Glingspitze (2433m, 12.00) - Tappenkarseehütte (14.00)
  • Länge: 10,6 km
  • Höhenmeter (Auf/Abstieg): 1050/1050 hm
  • Gehzeit Gesamt (inkl. Fotografierpausen): ca. 6 Stunden
  • Schwierigkeit: Kamm vom Schiereck leicht ausgesetzt und unmarkierter Abstieg

Vorgeschichte:

Als ich am 25. September, abends, die Hütte erreichte, gingen die meisten bereits bergab. Anfangs grüßte ich noch freundlich, aber wenn ca. 50 Wanderer und mehr einem entgegenkommen, spart man sich irgendwann den Atem. Oben auf der Hütte saß noch ein Ungar aus Budapest, der - aus ähnlichen Gründen wie ich - der Hektik und dem Alltagsstress entkommen wollte, indem er sich gut eine Woche lang in einer Holzhütte (nahezu ohne Strom) einmietete, und von dort aus die Berge durchwanderte. Ich zog die gemütlichere Variante auf der Hütte vor, und nicht die totale Einsamkeit. Diese hatte ich fast am späten Abend, als sich außer mir nur noch der Hüttenwirt, seine junge Gehilfin (eine Vorarlbergerin, die in Wien lebt), und ein älteres Ehepaar befand, das auch auf der Hütte übernachtete.

Eigentlich wollte ich vom Arbeitsalltag abschalten und nicht damit hausieren, was ich beruflich tat, aber der Hüttenwirt (Hannes) legte mir den Einsteiger hin: "Ich hatte gehofft, dass meine Gäste das Wetter mitbringen." - "Das trifft sich gut, denn ich bin von Beruf Meteorologe ..." , und das war der Beginn sehr spannender Gespräche über Schaumkronen auf dem See als Schlechtwettervorbote, über Föhnorkane (wie 2002) und heftige Gewitter, über Lawinen und ausgetrocknete Wasserfälle im August. Da ich in den vier Tagen keinen Internetzugang hatte, und den Wetterbericht nur aus dem Radio entnehmen konnte, musste ich sehr aufmerksam den Himmel und den Wind beobachten, um mir meinen eigenen Wetterbericht zusammenzuschustern. Am Montag hatte ich zuletzt die Wettermodelle gecheckt, und erwartete daher nach dem kurzen, heftigen Frontdurchgang am Dienstag recht sonniges, föhniges Wetter am Mittwoch. Es sollte jedoch anders kommen ...

Am Dienstag, 17.37, notierte ich teils lebhaftem Südföhn im Tappenkar. Um 18.00 zeigte sich ein chaotisches Himmelsbild mit Wolken in allen Stockwerken der Atmosphäre, dafür war das Kar kurz entkoppelt (kaum Wind). Wenig später bildete sich über dem Jägergraben und ostwärts vom Weißgrubenkopf (Richtung Riedingtal) eine stehende Rotorwolke (Bank aus Cumulus humilis). Nach Sonnenuntergang verstärkte sich der Föhn wieder, und es fanden interessante Gespräche mit Hannes statt....im Sommer sind etwa 300 Rindviecher auf der Alm, mit 1 % Verlust muss man jährlich rechnen. Zwar sind die Kühe geländegängiger als Pferde (da Kühe sich in den Wiesenhang hacken können, während die Pferde mit ihren glatten Hufen wie auf Schlittschuhen den Hang herabrutschen können, besonders wenn Schnee liegt), doch kommt es jährlich vor, dass eine Kuh den Hang hinabkullert, sich den Haxen oder gar das Gnack bricht. Erst Anfang September war eine Kuh sterbend in den 55 m tiefen See gefallen, und liegt dort noch immer.

In der Nacht wehte wie erwähnt kräftiger Föhnsturm mit Spitzenböen sicherlich über 100 km/h, da das ganze Haus gewackelt, geknarrt hat, und dazu ein Rauschen und Pfeifen, dass ich (und die junge Gehilfin) den Atem anhielten. Nach Mitternacht war der Sturm soweit vorbei, dass ich ungestört schlafen konnte. In der Früh hielt sich dann kompakte Bewölkung an der Alpennordseite, die Sonne war nur Richtung Süden zu erahnen. Bodennah hatte sich eine dünne Kaltluftschicht entwickelt. Als ich die Hütte gegen 8.15 verließ, wehte der Wind nur schwach und nahm etwa rund 50-100 hm über der Talsohle zu, dabei wurde es merklich wärmer (= Föhninversion).

Als ich aufstand und die Wolken sah, wusste ich sofort Bescheid, weshalb es kein schöner Föhntag werden würde, eben wegen jener Bewölkung im Lee, die sich meiner Erfahrung nach stundenlang halten kann. Der Wetterbericht am Vortag (von mir und im Radio) klang anders, und auf den ersten Blick nimmt man eine kapitale Fehlprognose an. Aber: Der Föhn war trotzdem da, nur fühlt sich die Luft bei fehlender Sonneneinstrahlung merklich kälter an, weil dann die Verdunstungskälte auf der Haut durch den starken Wind (= Windchill-Effekt) überwiegt.

Zuerst überquert man den Bach beim Hittstein, und dann geht es über angenehme Wege mäßig steil einen Heidelbeerwiesenhang hinauf.

Bild 1: Links unten die Hütte, mittig felsig der mächtige Draugstein (2358m), weiter rechts der Scheibenkogel (2251m)

Bild 2: Über dem Kleinarltal hatte sich eine Rotorwolke (geringer Durchmesser, rundlich) - föhnbedingt entwickelt

Darüber sind Fallstreifen aus mittelhoher Bewölkung zu sehen, vermutlich nicht zufällig dort, wo das Tappenkar steil zum Kleinarltal abfällt,d.h., dort kommt es zum hydraulischen Sprung und verstärkter Hebung, was zum Ausfall von Niederschlag führt. Die trockene Föhnluft verhindert jedoch, dass der Niederschlag am Boden ankommt. Man sieht also sehr gut, wo die Föhnströmung absteigt

Bild 3: Von der Weißgrubenscharte ein déja-vu auf der anderen Seite

Dort fand Anfang September das Moderatorentreffen des Gipfeltreffen-Forums statt, u.a. mit Wanderung auf das Weißeck (2711m), manche auch auf die Riedingspitze (2266m, links), im Hintergrund links Zwillingswand und Hochfeind, am Fuß des Riedingtals.

Bild 4: Mosermandl

Auch da ging es am 8.September hinauf. Übers Zaunerkar (links) und dann über das Karstplateau auf den Gipfel und über die Südflanke wieder hinab.

Bild 5: Im Nordwesten ist das Kaisergebirge (Wilder Kaiser) zu sehen

Mein Instinkt und mein meteorologisches Wissen fochten während der Wanderung einen Kampf aus. Zwar wusste ich, dass der Föhn größeren Regen oder gar Nebel verhindern würde, aber das Himmelsbild sprach eine andere Sprache. Dennoch blieb ich fast trocken, ehe ich wieder bei der Hütte anlangte.

Bild 6: Weißgrubenkopf (2368m)

Ursprünglich wollte ich da hinauf, aber das Rauschen in den Felswänden zeugte von Sturmböen schon beim Aufstieg, und dafür war mir der Steig dann doch zu ausgesetzt, um durch eine heftige Böe das Gleichgewicht zu verlieren. Als Alternative hatte ich den langen Wiesenkamm übers Schiereck (2366m) vor mir, den ich zu meinem Ersatzgipfel wählte. Dort oben war es auch vergleichsweise wenig windig, erst beim Abstieg hatte ich mit kräftigem Gegenwind zu kämpfen.

Bild 7: Kaisergebirge, Leoganger Steinberge, Steineres Meer und Hochkönig sowie Hagengebirge im Hintergrund

Im Vordergrund Draugstein, ganz rechts Gründeck (2168m) - zu diesem Gipfel sollte mich mein Weg am letzten Tag führen, ehe ich von dort ins Kleinarltal abstieg.

Bild 8: Blick nach Osten ins Riedingtal

An manchen Stellen ist der Wiesenkamm etwas ausgesetzt wie hier, aber die (unmarkierte) Steigspur ist nicht zu verfehlen.

Bild 9: Blick zur Ankogelgruppe

In der Höhe wird der Grund für die Bewölkung nun ersichtlich: Wie abgeschnitten ist die Wolkenkante genau am Alpenhauptkamm. Es kann sich daher nur um eine stationäre Leewolke handeln, die entsteht, wenn der Höhenwind sehr stark und die vertikale Stabilität niedrig ist. Dann vergrößert sich die Wellenlänge und bildet großflächige Wolken. Bei höherer Stabilität verkürzt sich die Wellenlänge hingegen und bildet die typischen Linsenwolken. Im Süden schien zumindest gebietsweise die Sonne, am Hauptkamm stauten sich tiefe Cumuluswolken.

Bild 10: Zurückgelegte Wegstrecke

Im Vordergrund der zurückgelegte Weg am Kamm (für einen Grat fast zu breit), zentral das Tennengebirge.

Bild 11: Am kreuzlosen Gipfel des Schierecks kann man Richtung Bayern bzw. Flachland die Sonnenregionen erahnen

Bild 12: Leewelle

Neuschnee oberhalb etwa 2600 m, mit bedrohlichen, aber noch harmlosen Stauwolken darüber.
In der Höhe bilden sich die Wellenbewegungen an der Leewolke mit der scharfen Wolkenkante eindrucksvoll ab.

Bild 13: Auch Richtung Glocknergruppe ein ähnliches Bild

Die Leewolke ist sowohl in hohen Schichten (weiß, hinten) als auch in mittelhohen Schichten (grau) vorhanden, an der Alpensüdseite fast stahlblauer Himmel.

Video von der Ausdehnung der Leebewölkung (360°-Panorama), auf YouTube ansehen

Standort Schiereck (2366m), Tappenkar, Pongau, 10.12 MESZ - exakt nördlich des Alpenhauptkamms hielt sich stationär eine Leewolke, die etwa bis zu den Bayrischen und Oberösterreichischen Voralpen reichte. Im Alpenvorland sowie an der Südseite war es zumindest zeitweise sonnig. Allerdings zogen ab Mittag von Kärnten her Schauerwolken auf, die aufgrund der fehlenden Sonneneinstrahlung im "Lee" (kühle Alpennordseite) auch nach Norden übergriffen und für Dimmerföhn sorgten.

Bild 14: Beim Abstieg vom Schiereck ist Vorsicht geboten!

Im Vordergrund der Übergang vom Tappenkar ins obere Riedingtal, gegenüber die Glingspitze, das nächste Ziel, links der Übergang über die Wasserfallscharte (2183m) zur Jägerspitze (2508m) und zum Nebelkareck (2535m), im Hintergrund im Gegenlicht Gipfel über 2700 m.

Die Gefahr ist nun, der Begrenzung der Kuhweide zu folgen, da man dann über eine Felswand zum Haselloch abzustürzen droht (kommt laut Hüttenwirt mindestens einmal pro Jahr vor), man muss sich also links halten, um knapp links der Wand am Kamm entlang abzusteigen. Ich kam etwas zu weit links und musste einen sehr rutschigen, schrofigen Wiesenhang hinab. Die Abfahrt auf dem Hosenboden ist nur bedingt zu empfehlen, da man die "Fahrt" kaum steuern kann. Letzendlich kam ich dann aber doch unbeschadet am markierten Weg an, der von der Königalm im Riedingtal zum Haselloch führt.

Bild 15: Föhnwolken in lehrbuchhafter Ausprägung.

Wenn die Föhnwolken so aussehen, und nicht linsenförmig, hat man es meist mit ruppigem Föhn zu tun, bei dem Schauerwolken leicht auf die Alpennordseite übergreifen können - was später auch geschah.

Bild 16: Im Vordergrund vom Föhn aufgewühlter Gletscherseerest, im Hintergrund Nebelkareck und Jägerspitze

Bild 17: Weißgrubenkopf, Schiereck und Mosermandl

Bereits beim Anstieg zur Glingspitze, der mächtige Wiesenbuckel des Schierecks, den ich überschritten habe.

Bild 18: Im Vordergrund Tappenkar(see), dort wird mich der Abstieg entlangführen

Links ein stetiges Auf-und ab von der Glingspitze über den Riffel (2266m) und Kreuzeck (2204m) zum Karteistörl und weiter zum Gurenstein (2219m) bis zum Draugsteintörl

Bild 19: An der Leewolke kann ich mich einfach nicht sattsehen

Bild 20: Anlass zur Beunruhigung geben allerdings die Haufenwolken, die immer mächtiger werden.

Bild 21: Spätestens hier wird deutlich, dass es sich um eine Schwerewelle handelt

Kurz darauf stehe ich am Gipfel, aber mir wird schnell klar, dass ich hier nur kurz verweilen möchte, denn ...

Bild 22: ...vom Schödertal und vom Keeskogel (2886m) her ziehen dunkle Wolken mit Regen auf.

Bild 23: Am Gipfelkreuz der Glingspitze, links der Riffel. Die unmarkierte Steigspur um den Felsgupf vorne herum ist für mich nicht ganz deutlich zu erkennen, und aufgrund der aufziehenden Schauerwolken (Gefahr der Orientierungslosigkeit im Nebel) möchte ich kein Risiko eingehen. Also hebe ich mir die Gratwanderung für ein anderes Mal auf, und steige über den Normalweg zum Tappenkar ab.

Bild 24: Links das Weißeck, rechts ein schier endloser Wiesenkamm, der sich bis nach St. Michael zieht.

Noch macht die Bewölkung keine Anstalten, sich zu ändern.

Bild 25: Das Ende der Leebewölkung ist im Hintergrund sichtbar.

Im Vordergrund links das Schiereck, dahinter Wildkarhöhe, Faulkogel und Mosermandl; rechts das Riedingtal mit Riedingspitze.

Bild 26: Noch schnell der Beweis, dass ich oben war, ehe es zurückgeht.

Bild 27: Ein leicht asymmetrisches Trogtal

Links mit fast ebenen Wiesen (mit Unmengen an Heidelbeersträuchern), rechts kaum abgestuft zum Schiereck hinauf.
Von der Scharte zum See sind es nur rund 400 hm Gefälle auf 5 km Strecke (< 8 %) , während es hinunter zum Kleinarltal 600 hm auf 4 km sind (15 %).

Die Asymmetrie im Gefälle mit der Engstelle am Nordrand des Sees hat vermutlich Einfluss auf die Windströmungen im Tappenkar selbst, dazu später mehr.

Bild 28: Beim Abstieg vom Wurmkogel

Im Norden sind weiterhin Fallstreifen sichtbar, die jedoch in der trockenen Föhnluft verdunsten.

Bild 29: Such das Murmeltier! *g*

Bild 30: Traumhafte Frühherbstfarben in einem glazialen Trogtal mit den typischen Mäandern und dem breiten Mündungsdelta

Bild 31: Zahlreiche Wasserfälle zerpflügen die Landschaft ...

Bild 32: ...und zaubern eine mystische Stimmung

Bild 33: Am Bachufer befindet sich ein ausgeweidetes Reh, das ich zuerst für eine Gams hielt. Aber das helle Fell passte nicht.

Dem Hüttenwirt erzählte ich am nächsten Tag davon, der daraufhin die Jäger veranlasste, das Tier wegzubringen. Dass man eher nicht aus diesem Bach trinken sollte, versteht sich von selbst.

Bild 34: Durch den Prallhangeffekt der erhöhten Fließgeschwindigkeit linksseitig werden verschiedene Gesteinsschichten sichtbar

Hier rutschte vom postglazialen Kerbtal wohl in jüngerer Zeit der Hang ins Trogtal hinab (auf dem Hangrutsch hat man die Hütte gebaut), und die Erosion durch den Bach ist daher recht effektiv, weil es sich um eher lockeres Sediment handelt.

Bild 35: siehe auch hier

Bild 36: Kurz, bevor ich den Hittstein erreiche, überschwemmen dunkle Wolken das Kar und leichter Regen mit ganz feinen Tropfen setzt ein. Ehe der Regen stärker wird, erreiche ich noch die Hütte.

Bild 37: Dimmerföhn

Von 14.00 bis etwa 16.00 regnet es leicht, zeitweise auch durch den starken Föhn verstärkt. Die Stärke des Windes lässt sich gut an der Fahne vor der Hütte ablesen, im Hintergrund noch einmal typische sanfte Wolkenoberseiten, wie man sie nur bei Föhn vorfindet. Das Bewölkungsbild ist allerdings gar nicht mehr föhnig freundlich, sondern schon recht schiach. Föhn und Niederschlag gleichzeitig nennt man auch Dimmerföhn. Dies ist dann der Fall, wenn das föhnbedingte Absinken im Lee nur noch gedämpft stattfindet, und sich Regenwolken auch "drüben" breit machen.

Bild 38: Schauer auch im Riedingtal

Die Schauer müssen sich auch im Nachbartal ausgebreitet haben, denn vom Schiereck und Weißgrubenkopf her strömen im Eiltempo Nebelfetzen hinab, jedoch nicht von Süden und Westen her. Sie sind Ausdruck kalter Schauerluft (Verdunstungskälte durch die trockene Föhnluft), die nun in den Föhn eingemischt wird, und die Föhnluft abkühlt.

Bild 39: Der starke Wind verursacht Wirbel und "Fahnen" auf der Seeoberfläche, jeweils vom Weißgrubenkopf hinab.

Bild 41: Kurz darauf wird noch ein Regenbogen sichtbar *freu*

Bild 42: Den restlichen Nachmittag und Abend verbringe ich auf der Hütte am Fenster

Bei dieser Aussicht (mit dem Kraxenkogel im Hintergrund) kann man es stundenlang aushalten.

Nach Sonnenuntergang wird der Wind erneut kräftiger, sogar stürmisch, anfangs regnet es kurz dabei. Nach etwa 20.00 weht schwerer Sturm, mit heftigen Böen bis erneut etwa Mitternacht. Laut dem nächsten (etwas jüngeren) Ehepaar, war es um 1.00 windstill und Sterne zu sehen, auch um 5.30 wars noch sternenklar, ehe gegen 6.00 Nebel aufzog und um 6.45 bis auf 1800 m herabreichte. Nachfolgend (Donnerstag) setzte Regen ein, dazu mehr im nächsten Bericht.

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