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20. Oktober 2009 - Seichter Föhn im Wipptal

Am 19.10. in der Wetterbesprechung rätselten wir noch, ob es in der Nacht Hochnebel geben würde oder nicht. Der Taupunkt lag am Nachmittag nur knapp unter Null Grad, im Alpenvorland befand sich feuchtere Luft (Taupunkte 0-2°C) und es hatte mäßigen Taleinwind. Dazu sollte die Nacht unter Hochdruckeinfluss verlaufen und es befand sich noch Restfeuchte von den schwachen Niederschlägen am Wochenende im Tal. Die Wetterlage war also prädestiniert für Hochnebel, vorausgesetzt, das Einströmen vom Unterinntal her setzte sich auch am Abend fort.

Für das Inntal gelten dann andere Gesetze als im Alpenvorland - das Talwindsystem ist hier federführend. Kühlt es nämlich im Tiroler Oberland bei wolkenlosem Himmel stark aus, dann fließt die kalte Luft von den Hängen und Seitentälern herab ins Inntal und gen Alpenvorland aus. Talauswind oder Talabwind bedeutet jedoch absinkende Luft und dadurch eine kontinuierliche Abtrocknung, also kein Hochnebel.

In Innsbruck gilt die Faustregel, dass sich der Hochnebel bis zur ersten Nachthälfte gebildet haben muss, weil es sonst zu stark auskühlen kann und der Talauswind einsetzt. Angesichts der geringen Taupunktsdifferenzen am Abend hätte man sich aber zumindest Bodennebel erwartet, es kühlte aber nur auf -2°C aus. Warum also nur diese schwache Auskühlung trotz wolkenlosem Himmel? Jetzt kommt die geographische Lage Innsbrucks nördlich des Alpenhauptkamms, jedoch inneralpin und in Verlängerung des Wipptals gelegen, das den tiefsten Passeinschnitt der Ostalpen beinhaltet.

1. Synoptische Wetterlage

Das Satellitenbild in Falschfarben (RGB) vom 20. Oktober 2009, 06 UTC, überlappt mit dem 700 hPa Geopotential...

..zeigt ein ausgedehntes Sturmtief westlich der Britischen Inseln, das sich am Höhepunkt seiner Entwicklung befindet, erkennbar daran, dass das Zentrum des Bodentiefs mit dem Zentrum des Höhentiefs in 700 hPa zusammenfällt. Weiters befindet es sich weit abseits im zyklonalen Bereich des Jetstreams, den man anhand der hohen Bewölkung, die sich von Neufundland südostwärts erstreckt, leicht erkennen kann. Es wird sich also kaum noch ostwärts verlagern. Somit kann sich von Norditalien über den Alpenraum bis Norddeutschland eine schwach antizyklonale Lage aufbauen, als Zwischen- oder Brückenhoch zwischen dem gealterten Tief über Österreich-Ungarn und dem herannahenden Sturmtief. Die Abstände der 700 hPa-Isohypsen sind leider etwas zu groß gewählt, doch wenn man den schwachen Höhenrücken über den maritimen Alpen nach Norden verlängert, sieht man eine schwache Keilvorderseite über Westösterreich (in 500 hPa besser sichtbar). Die Alpen liegen demnach in mittleren und höheren Troposphärenschichten unter einer schwachen Nordwestströmung - ein Umstand, der einem unter oberflächlichem Blick betrachtet, nicht an Südföhn denken lässt.

2. Stationsdaten des Instituts für Meteorologie und Geophysik Innsbruck

Die nachfolgenden Wetterdaten der vier Stationen Innsbruck, Ellbögen (unteres Wipptal), Sattelberg (westlich am Brennerpass) und Wolfendorn (östlich am Brennerpass)belegen jedoch eindeutig die Existenz einer föhnigen Strömung im Wipptal, die sich als sehr seicht herausstellen wird.

Dazu ist es wichtig zu wissen, dass bei Föhn zwischen seicht und hochreichend unterschieden wird, und Innsbruck ein Spezialfall des seichten Föhns darstellt. Existiert kein Gebirgseinschnitt, durch den der Föhn kommen kann, dann geschieht das nur über den Hauptkamm, was hochreichendem Föhn entspricht. Bei einem Gebirgseinschnitt wie dem Brennerpass spricht man von schnellen Gebirgseinschnittströmungen (gap flows). Im Wipptal existierten drei Lücken (nach Mayr et.al 2006):

  1. ein unterer Teil von 1,4 -2,3km Höhe, der 1km breit ist.
  2. ein mittlerer Teil von 2,3-2,8 km Höhe, der 15 km breit ist.
  3. ein oberer Teil von 2,8-3,2 km Höhe
Die Mehrheit der Innsbrucker Föhnfälle ist strenggenommen seicht (also unterer + mittlerer Teil), d.h. strömt unterhalb Kammniveau durch die Alpen, eine Minderheit manifestiert sich als hochreichender Föhn (oberer Teil) über Kammniveau, und eine noch kleinere Minderheit ist sehr seicht (unterer Teil). Während hochreichender und seichter Föhn meist in allen Höhen Südanströmung aufweisen, weht beim sehr seichten Föhn über der Föhnschicht Wind aus unterschiedlichen, meist westlich bis nördlichen Richtungen.

Kommen wir nun zu den Daten:

2.1 Innsbruck

Das Thermometer fiel bis etwa 20 UTC noch stetig stark, danach stagnierte die Temperatur und fiel in weiterer Folge nur noch schwach ab, ehe gegen 2 UTC kaum noch ein Abfall verzeichnete wurde. Der Taupunkt stieg während dem Temperaturrückgang an (d.h. die Luft wurde relativ feuchter) und fiel dann gleichmäßig mit dem Temperaturrückgang.

Im Windverlauf korreliert der schwache Temperaturabfall nach 20 UTC zu einem Windsprung von Einströmen auf Ausströmen (Talauswind = Westwind), der jedoch über dem klimatologischen Mittel (bei Hochdruckeinfluss) liegt, nämlich eine erhöhte Böigkeit aufweist, ab 06 UTC nimmt der Wind + Böigkeit stetig zu. Es handelt sich um den vorföhnigen Westwind, der dann weht, wenn der Föhn bereits oberhalb von Innsbruck durchgebrochen ist und durch seine wärmenden Eigenschaften den Luftdruck reduziert hat. Das resultierende Tiefdruckgebiet wird durch den verstärkten Talauswind, ausgeglichen.

2.2. Ellbögen

Das wirft unweigerlich die Frage auf, wann der Föhn denn im Wipptal eingesetzt hat. Die Antwort ist nicht so eindeutig, wie man es sich gewünscht hätte.

Die Innsbrucker Wind- und Temperaturdaten lassen den Föhn schon um 20 UTC vermuten, während in Ellbögen um diese Zeit ein Feuchteanstieg und Temperaturabfall verzeichnet. Erst um 3 UTC steigt die Temperatur um ca. 2K an, die relative Feuchte sinkt um 10 % und der Luftdruck sinkt ebenfalls um 1 hPa.

Im Windverlauf ist ein Windsprung auf die für Ellbögen typische Föhnrichtung von 120 bis 140°C zu sehen, verbunden mit einem Anstieg der Windgeschwindigkeit. Wie erklärt sich dann aber der vorföhnige Westwind in Innsbruck lange vor 03 UTC? Eine wahrscheinliche Erklärung ist, dass Ellbögen zwischen 18 UTC und 3 UTC eine Mischung aus thermisch bedingten (d.h. Auskühlung in der Nacht) und föhninduzierten Talauswind hatte. Auch hier sind die Windgeschwindigkeiten + Böen höher als bei "normalem" Talauswind. Der Feuchteanstieg + Temperaturabfall könnte auch von dem Talauswind des Stubaitals stammen, das bei Ellbögen ins Wipptal mündet und vom Föhn abgeschottet ungestört auskühlen konnte.

2.3 Sattelberg

in der objektiven Föhnklassifikation (OFK) verwendet man als Tracer die potentielle Temperatur. weisen sowohl Tal- als auch Bergstation die gleiche potentielle Temperatur auf, dann herrscht eine trockenadiabatische Temperaturschichtung (d.h. 1K/100m Abnahme mit der Höhe) und damit Föhn.

Am Sattelberg ist der Temperaturverlauf unauffällig, bis 03 UTC, just dem Zeitpunkt des Ellbögener Windsprungs gleichmäßig absinkend. Rechnet man von der Temperatur des Sattelbergs (2108m) auf die Höhe von Ellbögen (1080m), so hätte für die Erfüllung der OFK in Ellbögen eine Temperatur von -6 + 10 = +4°C herrschen müssen. Tatsächlich waren es aber bis 03 UTC -1 bis -3°C und nach 3 UTC hat sich der Abstand mit dem Temperaturanstieg am Sattelberg weiter vergrößert. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Ellbögen zu keinem Zeitpunkt in der Nacht seine Föhnluft vom Sattelberg erhielt, vorausgesetzt - und das wichtig - die Föhnluft wurde nicht durch die ausströmende Kaltluft aus den Seitentälern und von den Hangabwinden der schneebedeckten Hänge abgekühlt.

Der Südwind am Sattelberg korreliert vom Zeitpunkt her mit dem Südwind im Wipptal und dem Einsetzen des vorföhnigen Westwinds in Innsbruck. Ich würde daraus folgendes ableiten:

1. Zwischen 18 UTC und 03 UTC baute sich eine seichte Föhnströmung am Sattelberg auf, die teilweise ins Wipptal abstieg (Mischung aus normalen und föhnigen Ausfließen in Ellbögen) und in jedem Fall weit oberhalb Innsbruck über dem Inntal existierte. Dadurch sank der Luftdruck über Innsbruck (bzw. wurde an der Universität der Druckanstieg von der beginnenden Auskühlung gebremst) und der vorföhnige Westwind setzte ein.

2. Ellbögen erhielt in der Nacht zumindest teilweise Föhnluft vom Sattelberg, durch das Einmischen kälterer Luft aus dem Seitental war jedoch keine trockenadiabatische Durchmischung gegeben. Die Schneebedeckung dürfte da ebenso eine Rolle spielen.

3. Nach 3 UTC entkoppelte sich die Föhnströmung am Sattelberg von der sehr seichten Föhnströmung im Wipptal, der Wind schlief ein, die trockene Absinkluft in der Höhe machte sich bemerkbar.

2.4 Wolfendorn

Der Vollständigkeit halber noch die Daten vom Wolfendorn.

Hier nimmt die Taupunktsdifferenz bereits nach 14 UTC zu, der Wolfendorn ist näher dran an der Absinkluft aus dem Zwischenkeil, gegen 23 UTc erfolgt ein starker Feuchterückgang bis auf unter 20 %, einergehend mit einem Fall des Geopotentials, sowie mit einem Temperaturanstieg.

Das Windfeld ist im gesamten Zeitraum unauffällig, jedoch fällt der Temperaturanstieg mit einem kurzen Schwenk auf Südwind zusammen, Föhn? Ich muss die Frage offen lassen...

Am Patscherkofel (nicht gezeigt) auf 2246m herrschte im gesamten Zeitraum eine schwache nördliche Anströmung.

3. Radiosondenaufstiege und Vertikalprofil, Webcam Seegrube

Zur Frage, warum es trotz Nordwestanströmung in der Höhe eine seichte Föhnströmung gab, ziehe ich die Sondenaufstiege von Mailand und München, jeweils 00 UTC, heran, die die Alpensüd- und nordseite repräsentieren. Mayr und Armi (2008) haben in ihrem Paper "Föhn as a response to changing upstream and downstream air masses" nachgewiesen, dass potentiell kältere Luft südlich des Hauptkamms die Föhnströmung ermöglicht.

Mailand zeigt eine Absinkinversion in ca. 2,3km Höhe, in München bei 1,5km Höhe. Darüber findet sich sehr trockene Luft (vgl. Wolfendorn und Sattelberg). In 800 hPa, in etwa dem Niveau, aus dem die Föhnluft im Wipptal stammt, hat Mailand -3°C Lufttemperatur, München dagegen +1°C, potentiell ca. 14°C in Mailand und ca. 18°C in München. In höheren Schichten ist die Luft in Mailand potentiell wärmer (siehe Text-Daten der Soundings). Die für Südföhn notwendige potentiell kältere Luftmasse auf der Alpensüdseite war also vorhanden.

Der Innsbrucker Radiosondenaufstieg von 03 UTC zeigt eine schwache Strahlungsinversion, darüber einen nahezu isothermischen Verlauf mit der Höhe mit schwacher Südströmung und sehr trockener Luft. Vorausgesetzt, die Lufttemperatur in Mailand blieb unverändert, herrschte in 800 hPa immer noch eine geringfügig wärmere Luft als in Mailand.

Im Vertikalprofil von 06 UTC , das entlang des Querschnitts von Süddeutschland bis Alpensüdseite reicht (siehe rechts oben), sind Thetae (ausgezogene Linien) und relative Feuchte (grün = hohe Feuchte, braun = niedrig) aufgetragen. Als Höheninformation habe ich Sattelberg und Wolfendorn angedeutet.

Sie befinden sich beide in der sehr trockenen, potentiell stabil geschichteten (waagrechte Thetae-Linien) Absinkluft (Sattelberg um 10 UTC sogar -25°C Taupunkt 14 % relative Feuchte), die Schichtung auf der Alpensüdseite ist tendenziell potentiell stabil bis neutral (weite Abstände der Thetae), nördlich des Hauptkamms in Bodennähe noch stabiler (vgl. die Inversion in ca. 950 hPa). Da die Höhe des Gebirges in der Modelltopographie (ca. 2km) nicht der tatsächlichen Höhe (3,5km) entspricht, ist der Querschnitt sehr mit Vorsicht zu genießen, was die Analyse der Thetae/Feuchte direkt über dem Gebirge betrifft.

Das Webcambild von 8 UTC, als der Sattelberg bereits von der Föhnströmung entkoppelt war, zeigt eine ausgeprägte Dunstinversion in rund 1200-1400m Höhe, die in Richtung Brenner anzusteigen scheint, darüber regiert extrem trockene Absinkluft, darunter seichte Föhnluft.

4. Zusammenfassung

Die Ergebnisse dieser Fallstudie lassen sich in folgende Graphik (Copyright Luftbildatlas Tirol) packen:

Sie stellen die Situation nach 03 UTC dar. Am Sattelberg wehte von 18 bis 03 UTC eine seichte Föhnströmung, im Wipptal im selben Zeitraum eine Mischung aus nächtlichem und föhnigem Ausfließen (erhöhte Böigkeit, aber bei weitem keine Durchmischung mit dem Sattelberg), in Innsbruck im selben Zeitraum schwacher, vorföhniger Westwind durch den hydrostatisch bedingten Druckfall über bzw. östlich von Innsbruck.

Nach 03 UTC koppelte die Föhnströmung am Sattelberg durch den Temperaturanstieg (extrem trockene Absinkluft) ab, der Föhn im Wipptal verstärkte sich, evtl. weil durch die stabile Schichtung im Sattelbergniveau ein "Deckel" erzeugt wurde und sich dadurch der Durchfluss zwischen Talboden und Deckel erhöhte (Venturi-Effekt: Querschnitt * Windgeschwindigkeit = const.).

Östlich von Innsbruck normales thermisch bedingtes Ausfließen, westlich von Innsbruck vorföhnig verstärktes Ausfließen. In den Seitentälern des Wipptals ebenfalls normales Ausfließen, durch schneebedeckte Hänge intensivere Kaltluftproduktion, evtl. der Auslöser dafür, dass a) in Innsbruck der vorföhnige Westwind verhältnismäßig schwach blieb b) der Föhn in Ellbögen sehr kalt war.

Am Patscherkofel (knapp nordöstlich oberhalb von Ellbögen) sowie am Wolfendorn kein Föhn und eher nördliche Winde, später auch am Sattelberg Einschlafen und auf West drehender Wind.

5. Quellen:

© Felix Welzenbach