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Bora und Föhn über die Nordkette - eine These mit Fallbeispielen

Gewöhnlich kennt man Bora vorwiegend aus Kroatien, wo bei einem hochreichenden Kaltluftvorstoß über Osteuropa die Kaltluft über das Dinaridische Gebirge fließt und mit teilweise Orkanstärke erreichenden Winden an der adriatischen Küste ankommt. Vor der Bora ist auch die Beobachtung von Föhn an der Adria möglich, nämlich wenn sich die Kaltluft östlich der Dinariden aufstaut, aber noch nicht über das Gebirge strömt. Dann kann die potentiell wärmere Luft über der Kaltluft über das Gebirge hydraulisch herabbefördert werden und sorgt für eine Erwärmung im Tal bzw. an der Küste.

Im Kapitel über Nordföhn in Innsbruck habe ich einen speziellen Fall von Badewannenföhn beschrieben, wenn sehr seicht vom Alpenvorland anströmende Kaltluft über die Nordkette strömt und walzenartigen Wolken auf der Leeseite führt, die teilweise rasch abwärts wandern und sich dabei auflösen. Dieser Badewanneneffekt soll in diesem Artikel neu erörtert werden und verdient nun auch eine wissenschaftliche Bezeichnung: Bora.

Der Geistesblitz kam mir heute, am 22. Juni 2007, durch einen erneuten Fall dieses Badewanneneffekts, den ich am Mittag vom Institutsdach aus beobachten konnte:

Das Bild wurde gegen 12 UTC aufgenommen und zeigt Stratusbewölkung über dem gesamten Bereich der Nordkette wie eine Föhnmauer über den Kamm hängen. Sie stürzte mit sichtbarer Geschwindigkeit abwärts und erreichte teilweise bis zu 1200m relative Höhe über Grund. Damit verbunden war eine deutliche Windauffrischung, die sich auf den zu sehenden Bereich beschränkte und zu Sturmböen aus nördlichen Richtungen führte, ebenso zu einer deutlichen Abkühlung und Druckanstieg an der Universität Innsbruck.

Im Folgenden eine Gegenüberstellung von seicht und hochreichend anströmender Kaltluft über die Nordkette - mit je einem Fallbeispiel vom 22. Juni 2007 sowie vom 16. November 2005:

Fallbeispiel für Bora über die Nordkette - 22. Juni 2007

Am 22. Juni 2007,12 UTC befand sich ein ausgedehnter Höhentrog über Westeuropa, der zu einer kräftigen Südwestströmung über dem südlichen Mitteleuropa führte. Die Jetachse lag zu diesem Zeitpunkt knapp südlich der Alpen, nördlich des Alpenhauptkamms also zyklonaler Einfluss durch die Annäherung des Troges von Westen. Die Höhenkaltluft war noch nicht weit fortgeschritten und bedeckte erst Frankreich und Westdeutschland.

Die 850hPa-Temperaturkarte rechts zeigt die Luftmassengrenze (Kaltfront) genau über dem Nordalpenraum - mit der Andeutung einer Wellenbildung über Westösterreich. Die Kaltfront bewegte sich zunächst nur langsam südostwärts, ehe sie am Nachmittag besonders über Nord- und Ostösterreich deutlich beschleunigte, was dort u.a. zur Bildung eines ausgeprägten Bogenechos mit zahlreichen Orkanböen, großen Hagel und schweren Regenfällen führte.

Die VERA-Analyse von 12 UTC zeigt die Kaltfront vor den Toren des Inntals mit einer Taleinwindkomponente im Unterinntal und einer eher westlichen Komponente im Alpenvorland. Reibungsbedingt wies der Wind nördlich des Karwendels eine leicht ageostrophische Komponente nach Süden auf.

In Innsbruck herrschte bis zu diesem Zeitpunkt noch ein Wechsel aus zunehmend dichter, verwaschener Quellbewölkung und etwas Sonne vor. Die Temperatur kletterte bis zum Mittag auf 24,0°C.

Am Sattelberg wehte bis 12 UTC und darüber hinaus noch teils kräftiger Südwind, erst nach 14 UTC resultierte eine Gewitterserie in einen Windsprung auf Nord.

In Innsbruck wehte in der Nacht und am Vormittag noch Taleinwind, bis 12 UTC drehte der Wind auf West und Südwest, vermutlich aufgrund von Schauern über dem südlichen Mittelgebirgsraum. Um 12 UTC schnellte der Mittelwind von etwa 4m/s auf 10 m/s hinauf, das zugehörige 1min-Mittel (!) ging bis knapp 14m/s. Nach subjektivem Empfinden erreichten die Böen auf dem Uni-Dach Sturmstärke, im Stadtteil Hötting sowie am Nordhang bogen sich die Bäume anhaltend und teilweise stark nach unten.

Das zugehörige Diagramm aus Temperatur, Feuchte und Druck an der Villa der Universitität - nur etwa 400m südlich des obigen Aufnahmepunkts gelegen - zeigt mit dem Einsetzen des Windes einen deutlichen Temperaturrückgang von 24,0°C auf 22°C sowie einen Druckanstieg von 1hPa in etwa 10min. Die Feuchte zeigt nur ein geringes Signal nach oben, da die Stratuswolken beim Herabschwappen sich nahezu auflösten und der Wasserdampf durch das trockenadiabatische Absinken verdunstete.

Der wenig später erfolgende massive Feuchteanstieg mit weiterem Temperaturfall und Druckanstieg geht auf eine durchziehende Gewitterlinie mit starkem, großtropfigen und eiskaltem Regen zurück.

Fallbeispiel für Föhn über die Nordkette - 16. November 2005

Eine gänzlich andere Ausgangssituation ist in der Nacht vom 16. November 2005 auf den 17. November 2005 zu sehen. Von Skandinavien her stößt ein hochreichend mit Kaltluft gefüllter Langwellentrog über Mitteleuropa südwärts vor. Die Trogachse überquert um Mitternacht Westösterreich, dahinter geht die Temperatur in 500hPa auf unter -25°C zurück. In der Temperaturkarte rechts sieht man auch in 850hPa einen deutlichen Kaltluftvorstoß. Die Kaltfront zieht zwischen 18 und 00 UTC über die Nordalpen hinweg. Die Höhenkaltluft ist nahezu deckungsgleich in Ort und Zeit wie die Kaltluft in der niederen Troposphäre.

Das Diagramm der Universität zeigt nach stark wechselnden Winden untertags des 16. Novembers mit schwachen Geschwindigkeiten einen kräftigen Anstieg zwischen 19.30 und 21.30 UTC. Zum Zeitpunkt der Maximalgeschwindigkeiten weht der Wind klar aus Nord (350-360°). Der sonst klassische Nordföhn in Innsbruck mit kräftigem Westwind ist hier also auszuschließen, zudem meldete der Flughafen zeitgleich Südost- bis Südwestwind. Bemerkenswert ist weniger der geringe Temperaturanstieg um etwa 0,5K mit dem einsetzenden Nordwind, sondern der rapide Feuchterückgang von 90% auf 45% innerhalb 40min.

Im weiteren Verlauf erreichte die Kaltluft dann auch über Kufstein das Inntal bei Innsbruck und der Wind drehte auf östliche Richtungen unter Abschwächung zurück.

Gegenüberstellung 22. Juni 2007 und 16. November 2005

Folgende Skizzierung ist - soweit mir bekannt ist - noch nicht durch Studien untermauert und basiert daher auf eigenen Vermutungen. Gezeigt ist ein Nord-Süd-Querschnitt durch die Alpen bei Innsbruck, mit dem Patscherkofel links und Nordkette und Karwendelgebirge rechts.

Im Fall a) Föhn -- befindet sich ein Kaltluftsee im Alpenvorland und im Karwendelgebirge, dessen Mächtigkeit nicht ausreicht, um über die Nordkette zu schwappen. Potentiell wärmere Luft strömt oberhalb des Kaltluftsees über den Nordkettenkamm und wird hydraulisch ins Inntal hinabgezwungen. In den meisten Fällen gelangt die Luft über Gebirgseinschnitte westlich von Innsbruck ins Inntal und macht sich dann als stürmischer Talauswind bemerkbar. In selteneren Fällen ist die über den Kamm strömende Luft nicht so stabil geschichtet (dicht gedrängte Stromlinien), dass er über den engen Taleinschnitt bei Innsbruck hinweggeht (und dann z.B. in Ellbögen für auflebenden Taleinwind sorgt), sondern kann auf der Leeseite der Nordkette herabströmen. Dabei erwärmt sich die Luft trockenadiabatisch. Je nach zuvor im Inntal liegender Luftmasse kann es eine geringe Erwärmung in Innsbruck geben. Es ist aber anhand des obigen Fallbeispiels durchaus in Betracht zu ziehen, dass sich die Erwärmung über die Fallstrecke von etwa 2000m (+20K) und die kühle Höhenluft nahezu "aufheben", also nur eine geringe Nettoerwärmung resultiert.

Im Gegensatz dazu kann es bei klassischem Nordföhn in Innsbruck durchaus markantere Temperaturanstiege geben, vgl. hierzu z.B. Nordföhn bei Kyrill mit 6K Temperaturanstieg.

Im Fall b) Bora -- liegt ebenfalls ein Kaltluftsee nördlich der Nordkette. Durch die kontinuierlich seicht heranströmende Kaltluft nimmt der Kaltluftsee an Mächtigkeit aber immer weiter zu, bis der Oberrand der Kaltluft (hellblau) über die Nordkette strömen kann. Er manifestiert sich durch die Abkühlung und Sättigung als walzenförmige, tiefe Schichtwolken, die sich auf der Leeseite durch die adiabatische Erwärmung langsam auflösen. Da der Kaltluftnachschub rückseitig nicht abreißt und im Tal potentiell erheblich wärmere Luft liegt, führt das seichte Überschwappen zu einer Abkühlung in Innsbruck. Interessant ist in diesem Fall die herrschende Gegenstromlage mit Südwind am Sattelberg (2108m, roter Pfeil). Zugspitze & Wendelstein melden um 12 UTC dagegen Nordwinde (hellblauer Pfeil). Die boraartige Kaltluftströmung ist daher ein sehr lokales Phänomen, bedingt durch den Stau- und "Fülleffekt" der Täler des Karwendelgebirges bis Kammniveau.

Schlussfolgerung

Nach den beiden dargelegten Fallstudien könnte man von einer Bora über die Nordkette sprechen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Für den seltenen Föhn über die Nordkette sollten hingegen folgende Kriterien erfüllt sein:

Hinweis: -- Für eine Klimatologie sind weitere Fallstudien notwendig.

© Felix Welzenbach, 22. Juni 2007